Bush Walk im Krüger Park
Von menschlichen und tierischen Begegnungen
Es war bereits still geworden im Tsendze Rustic Camp. Wie ein samtenes, dunkelblaues Tuch hatte sich die Dunkelheit in kürzester Zeit über uns niedergelassen. Keine fröhlichen Camperstimmen erfüllten mehr die Luft. Einzig und allein das Zirpen der Grillen, das Rascheln der Blätter waren noch zu vernehmen. Vor uns loderte ein orange-rotes Lagerfeuer.
Es war einer dieser perfekten Camping-Abende nach einem perfekten Tag. Volltrunken von den Eindrücken unserer Safari waren wir an diesem Abend auf der Campsite eingefahren. An dem mit imposanten Tierschädeln geschmückten Tor begrüßte uns winkend ein älteres Ehepaar. „Schnell mach die Musik aus!“, rief ich Yannik zu, der das Handy in der Hand hatte. Selbstverständlich war unser Fahrzeug erfüllt von John Williams Klängen zu Jurrasic Park, wie immer wenn wir ein Gate passierten. Tradition war schließlich Tradition. Klonk, das Handy fiel zwischen die Sitze. John Williams setzte derweil zum großen Crescendo an. „Mist!“, ich wollte eigentlich den Aus-Knopf am Radio treffen, erwischte aber stattdessen den für die Warnblinker-Anlage.
Von den Schlangenlinien, die ich bei diesem Manöver fuhr mal abgesehen, legten wir doch einen Mords-Auftritt aufs Parkett! Entsprechend verstört sah uns die ältere Frau, die einen weiten Rock und ein buntes Tuch um den Kopf trug, an, während ihr Mann in der dunkelgrünen Rangeruniform sich köstlich zu amüsieren schien. „Follow me I will show you your site.“, rief er uns zu. Ich hatte es endlich geschafft den Aus-Knopf zu betätigen und winkte zur Bestätigung aus dem Fenster. Der Ranger wies uns einen tollen Platz zu mit Feuerstelle und Grillrost in der Mitte des Camps.
Nette Nachbarn
„So, what have you seen today?“, stellte der Mann die Frage, auf die jeder, der im Krüger unterwegs ist, sehnlichst wartet. Wir hatten mittlerweile gelernt, dass es hier zum guten Ton gehörte, jedem der es hören wollte von den Sichtungen des Tages zu erzählen. „A Leopard!“, kam es wie aus der Pistole geschossen von uns dreien. Der Ausruf lockte unsere Nachbarn an. Ein hochgewachsener, gertenschlanker, wettergegerbter Mann mit Glatze in Shorts und T-Shirt, begleitet von zwei jungen Männern, etwa in unserem Alter und in vollem Survival-Outfit traten zu uns. Wir verstanden, dass die beiden so etwas wie die Studenten des Glatzköpfigen waren.
Zugegeben, keiner von uns hörte den laborierten Ausführungen des Mannes zu. Wir waren viel zu sehr damit beschäftigt den enorm großen, enorm runden, die Survivalshorts beinahe sprengenden Hintern des einen Lehrlings anzustarren. Kim Kardashian wäre vor Neid grün geworden. Entsprechend bekamen wir auch die Namen unserer neuen Nachbarn nicht mit. Den glatzköpfigen Meister tauften wir daher Taggert, nach einem leicht verrückten, sehr enthusiastischen Tierforscher aus der alten Fernsehserie „Eureka“.
Wir erfuhren, dass die beiden Zauberlehrlinge am nächsten Morgen mit uns und Ranger Patrick zum Bush Walk im Krüger Park aufbrechen würden. Während Yannik weiter Small-Talk betrieb, mit dem Ziel Sitzgelegenheiten geliehen zu bekommen (die Taktik hatte sich auf den letzten Camps bereits bewährt), bauten Marcel und ich die Zelte auf.
Kaum standen unsere Behausungen, da brachten die beiden Studenten mit großer Geste drei Campingstühle und Schalen mit Obstsalat. Taggert beschwor uns regelrecht, den Salat zu essen. Wir bräuchten die Vitamine. Ich weiß nicht, welchen Eindruck wir auf die Südafrikaner machten, aber es war nicht das erste Mal im Krüger, dass man uns mit großem Nachdruck Essen anbot. Brav nahmen wir an und aßen auf.
Einblicke
Kurz darauf, wir wollten gerade den Gaskocher anschmeißen, um zur Feier des Tages Curry zu kochen, da stellte sich ein weiterer Campingnachbar als Hans Jürgen vor. „Meine Eltern kommen aus Deutschland. Ich habe auch schon dort gelebt.“, erklärte er mit dem näselnden Ostdeutschen Akzent. Mir fiel auf, dass auf dem Heck seines silbernen VW Tuareg die Deutschlandflagge samt Bundesadler prangte. „Aber hier ist halt meine Heimat.“, ergänzte der weißhaarige, etwa 60 Jährige Mann. „Es geht alles bergab hier. Soll ich euch was sagen, bei uns gibt es die Apartheid immer noch, aber andersherum! Seit die Schwarzen an der Regierung sind, bekommen die Weißen keine Jobs mehr.“
Damit bezog er sich auf das Broad Based Black Economic Empowerment Program der ANC Regierung, dass die wirtschaftliche Benachteiligung der schwarzen und farbigen Bevölkerung beenden soll. Dieses Gesetzt wurde und wird von einem Großteil der weißen Bevölkerung Südafrikas massiv angefeindet. „Die ganzen weißen Fachkräfte wandern aus. Alles geht kaputt. Meine Frau und meine Tochter trauen sich nicht mehr auf die Straßen.“, er redete sich richtig in Rage. „Ihr seht es hier im Park. Die brennen alles ab und repariert wird auch nichts, weil sie es nicht können. Kommt, ich zeigs euch.“ Hans Jürgen forderte Marcel und Yannik auf, ihm zu folgen.
Ich blieb etwas verdutzt an der Feuerstelle zurück und rührte weiter gedankenverloren in unserem kleinen Kochkopf. „Die Apartheid gegen Weiße.“, dachte ich. „Ein bisschen rassistisch der Mann und ein bisschen rechts.“ Durch Hans Jürgens Worte bestätigte sich der Eindruck, den ich bereits während der ersten Tage unseres Road Trips gewonnen hatte. Die Gesellschaft Südafrikas war noch immer gespalten. Die verschiedenen Ethnien, von der Geschichte verdonnert sich ein Land zu teilen, trauten sich noch immer nicht, kannten sich nicht, wollten sich nicht kennen. Die einen arbeiteten als Kellner, Tankwart, Ziegenhirte, wenn es gut lief, als Ranger. Die anderen fuhren schicke Autos, gingen shoppen, ließen sich in Restaurants bedienen und verschanzten sich hinter Mauern und Stacheldraht. Schwarz und Weiß an einem Tisch, an einem Campingfeuer – scheint dort noch immer unvorstellbar.
Ich konnte Hans Jürgen verstehen, ein bisschen zumindest. Auch wir hatten uns nicht sicher gefühlt auf den Straßen der Städte, die wir passierten. Aber was half es mit dem Finger zu zeigen? Warum sprach man nicht miteinander? Wie sollte diese ungeschriebene aber für jeden spürbare Trennung jemals aufgehoben werden?
„Autsch!“, das Nudelwasser war übergekocht und schwappte über meinen beflippfloppten Fuß. Sofort kamen Taggert und die Frau von Hans Jürgen angestürmt. Ich müsse mich hier doch nicht so abmühen und überhaupt in so einem kleinem Topf könne man ja auch gar nicht kochen. Warum ich nicht bei ihnen im Campingwagen kochen würde. Hilfsbereitschaft hin oder her, ich fühlte mich leicht bevormundet. „All under control. We are doing it all the time like this. Camp a lot.“, wehrte ich ihre Angebote ab. Vielleicht eine Spur zu energisch. Schließlich zogen sie ab.
„Was hat er euch denn jetzt gezeigt?“, fragte ich Yannik und Marcel, als die beiden zurück kamen. „Ach, alles am Camp, was irgendwie nicht funktioniert. Tropfende Leitungen, kaputte Zäune..“, zählte Marcel leicht genervt auf. Den Abend verbrachten wir mit Weißwein und einem hitzigen Stadt-Land-Fluss Spiel am Lagerfeuer.
Bush Walk im Krüger Park
Der nächste Morgen wurde bereits um 5 Uhr früh von Taggert und seinen Lehrlingen eingeläutet. Geschäftige Schritte und das Kleppern von Blechtassen, ließen uns gähnend aus den Zelten krabbeln. Kaum angezogen, da stand schon Mister Riesenpopo mit drei Tassen dampfenden Kaffees bereit. Welch ein Service hier! Mit einem leichten Weißwein-Kater nahm ich dankend an. Keiner von uns konnte es vermeiden den Hintern, der heute in einer besonders engen braunen Shorts steckte, anzugaffen, als sich der Student zum gehen wandte.
Es war noch still auf dem Camp. Wir waren die einzigsten, die zum Bush Walk aufbrachen. Die Luft war angenehm kühl, die Sonne hatte sich noch nicht über den Horizont erhoben. Nur einige Vögel waren zu hören. Am Tor erwartete uns bereits Ranger Patrick mit seinem Kollegen. Beide trugen ein langes Gewehr über der Schulter. „You want to take a farewell-photo,“ meinte Patrick zu Taggert, der uns zum Tor begleitet hatte. „We might never come back.“, fügte der Ranger mit todernster Miene hinzu, doch seine Augen blinzelten schelmisch. Am Abend zuvor hatte jeder von uns eine Erklärung unterschrieben, dass im Falle von Verletzungen oder des Todes, der Park nicht haften würde.
Noch spannender machte es die Tatsache, dass wir ausgerechnet dort den dunkelgrünen Safarijeep verließen, wo wir am Vortag dem Leoparden begegnet waren. Wir stiegen in das sandige Bett eines ausgetrockneten Flusses hinab. Auf der gegenüberliegenden Uferseite erhob sich dichte, grüne Vegetation. Patrick erklärte uns derweil die Regeln des Bush Walks: nicht sprechen, nicht stehen bleiben, immer im Gänsemarsch gehen.
Dann gab es die erste Lektion im Spurenlesen. Es musste hier einiges los gewesen sein in der vergangenen Nacht. Neben den Spuren von Zebras und anderen Huftieren waren auch einige Raubtiertatzen zu erkennen. „Lots of Hyena.“, flüsterte Patrick mit fachmännischem Blick auf einige weiße Ausscheidungen. „Its white because Hyena can digest the bones too. Its the calcium.“, erläuterte er und fügte hinzu: „We should go, before it gets to hot.“ Tatsächlich war es in der letzten halben Stunde schon um einige Grad wärmer geworden
Ich war aufgeregt und voller Vorfreude. Endlich mal wieder ein bisschen Bewegung, nachdem wir die letzten Tage nur mit dem Auto unterwegs gewesen waren. Es wehte kein Wind an diesem Morgen. Die Sonne brannte vom Himmel und die trocknen Grashalme knirschten unter unseren Wanderstiefeln. Schweigend und mit gespitzten Ohren pirschten wir im Gänsemarsch durch den Busch. War das ein Rascheln, eine Bewegung? Ich war mir sicher, dass wir aus dem Dickicht beobachtet wurde, dass verborgene Augen unseren Schritten folgten. Doch nichts rührte sich. Unser Geruch und unsere unbeholfenen Schritte schienen die Tierwelt abzuschrecken. Wie hilflos wir Zweibeiner doch waren. So hilflos, dass wir uns nur in Begleitung von Schusswaffen in die Wildnis trauten.
Im Reich der Tiere
Als wir schließlich einen kleinen Felsvorsprung erreichten, der den Blick auf eine weite tierlose Ebene freigab, läutet Patrick schließlich die Frühstückspause ein. Kekse und Saftpäckchen hatte er für alle dabei. „ Did you ever shoot an animal?“, fragte Yannik in die Stille hinein. „No. A good Ranger does not have to shoot. He can get out of close situations without killing an animal.“, erwiderte Patrick stolz. „It only gets dangerous when people do not listen and do not know how to behave in front of wild animals.“, brummte sein Kollege. Ja, wir Menschen waren der Fremdkörper hier. Uns mussten die Ranger im Zaum halten, nicht die Tiere.
Nach einer kurzen Pause rappelten wir uns schließlich wieder auf. Wir würden nun den Rückweg antreten. Immer in Richtung der großen Bäume am Flussufer. Wir trotteten eine ganze Weile dahin, bis Patrick an der Spitze unseres Zuges plötzlich einen Arm mit geschlossener Faust in die Höhe reckte. Das Zeichen zum Anhalten. Es raschelte. Es knackte. Irgendwo rechts von uns bewegte sich etwas großes durch den Busch.
Zebras! Eine ganze Herde starrte uns mit geblähten Nüstern und gespitzten Ohren an. Wie lange beobachteten sie uns schon? Trotz ihrer auffälligen schwarz-weißen Musterung hatten wir sie nicht gesehen. Eines der Tiere schnaubte laut, dann stob die Herde davon. Unglaublich den Tieren hier gegenüber zu stehen. Kein Zaun, keine stinkende Blechschüssel trennte uns voneinander.
Patrick gab das Zeichen zum Weitergehen. Wir näherten uns bereits den hohen Bäumen am Flussufer, als der Ranger erneut die Faust reckte. Er deutet auf verdächtig wackelnde Büsche vor uns, lotste uns um einen Strauch herum und bedeutete uns mucksmäuschen still zu sein. Da waren sie. Hundert, vielleicht 200 Meter entfernt. Drei Elefanten pflückten sich mit ihrem Rüssel geschickt die hellgrünen, frischen Blätter ab. Ihre großen Ohren wedelten dabei gemächlich vor und zurück.
Die Szenerie wirkte so friedlich. So ausgeklügelt. Schon signalisierte Patrick weitergehen. Schade. Zurück am Jeep erklärte er uns , dass die Elefanten uns nicht gehört und gerochen hatten, weil der Wind in unsere Richtung wehte. Anderenfalls hätten sie schon längst die Flucht ergriffen. Doch so haben sich die Tiere verhalten, als wären sie unter sich. Haben getan was Elefanten eben tun, ohne von lästigen Autos, Kameras oder Stimmen gestört zu werden. Der Bush Walk ist wohl die ursprünglichste, natürlichste Form der Safari. So sollte es sein. Die Tiere beeinflussen hier unser Verhalten, nicht wir ihres. Welch erfrischende Abwechslung.
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