St. Lucia und iSimangaliso Wetland Park
Von Hippos, Haferbrei und Hoffnung - Ein Kapitän erzählt
Willkommen in St. Lucia
„Boah, das ist jetzt krass!“, ruft Yannik aus, als wir nach ca. 2 Stunden wilder Autofahrt in St. Lucia einrollen. Mir ist sofort klar, was er damit meint. Im Vergleich zu Mkhuze, unserem Ausgangspunkt an diesem morgen, bildet St. Lucia einen krassen Kontrast: Saubere asphaltierte Straßen, gesäumt von breiten betonierten Gehsteigen. Geputzte Autos nehmen Rücksicht auf herausgeputzte Passanten, schwarze ebenso wie weiße Menschen flanieren die Straßen entlang. Unter ihnen befinden sich unverkennbar viele Touristen, ausstaffiert mit Safarihut, Khakishorts und Reiseführer. Ein ungewöhnliches Bild, für das Südafrika, das wir bisher kennengelernt hatten: Touristen in den National Parks, weiße Südafrikaner in klimatisierten Einkaufszentren und hinter ihren eigenen Mauern, Schwarze und Farbige auf den Straßen.
Die Vorstadt-Idylle St. Lucias wird komplettiert durch die gepflegten Häuser und Lodges mit Pool und englischem Rasen. Ohne Zweifel, der Tourismus hatte Wohlstand und Sicherheit nach St. Lucia gebracht, es zu einem wahren Musterdorf gemacht. So hätte es auch in Spanien, Portugal oder an sonst einem touristischen Ziel stehen können – vielleicht ohne Hippos und Korokodile.
Wir kommen nach St. Lucia, um, wie viele andere auch, von dort aus Ausflüge in den wunderschönen iSimangaliso Wetland Park zu unternehmen und um uns, nach fast 1,5 Wochen im Busch, mal wieder ein bisschen Luxus zu gönnen. Regelrechte Entzückung macht sich breit, als uns die hübsche Angestellte der Leopard Tree Lodge, passend in ein weites Kleid mit Leoparden-Muster gehüllt, unser Apartment zeigt. Es sieht aus, als wäre es einem Katalog für Inneneinrichtung entsprungen. Alles scheint niegelnagelneu – vom Induktionsherd bis hin zur Dusche mit Tropenregen-Funktion.
„So I’m“, die Dame von der Rezeption sagt ihren Namen, jedoch so undeutlich, dass ihn keiner von uns versteht. „If you have any questions, don’t hesitate to ask.“ Damit war die Führung beendet. Bevor sie sich zum Gehen wendet, ergänzte sie noch: „Beware of the Hippos. There is no criminality in St. Lucia. But beware of the Hippos!“
„Wie heißt sie, Anuschka?“, fragt Yannik, nachdem sie gegangen war. „Nee, Kathinka.“, erwidert Marcel. „Also ich habe Kalinka verstanden.“, gebe ich auch noch meinen Senf dazu. „Kennt ihr eigentlich das Lied?“ Im Übermut angesichts dieser Traumwohnung beginne ich zu singen und schwinge dabei mit erhobenen Armen abwechselnd die Beine. „Ka-linka, Ka-linka, Ka-linka maija…“ Die zwei Herren sehen mich leicht verstört an.
Ich erwähne diese Verwechslung deshalb, weil dieses Lied seitdem immer wieder heimlich auf unserer Roadtrip-Spotify-Playlist eingeschleust wurde. So waren wir vermutlich das einzige Fahrzeug in ganz Südafrika , bei dem jemals „Kalinka“, eingesungen von dem Soldatenchor der Roten Armee, nach der Titelmusik von „Jurassic Park“ aus den Lautsprechern dröhnte!
Unseren ersten Abend in St. Lucia verbringen wir weißweingetränkt in unserem Designer-Apartment, nachdem uns die lärmende Kinderschar eines Typen, der erstaunliche Ähnlichkeit mit Gerald Butler hatte, allerdings mit Bollerwagen und Grill-Kühlbox anrückte, den Pool streitig gemacht hatte. By the way, Südafrika ist auch ein hervorragendes Weinland!
Unter Hippos
Der Wecker tutet. Es ist sechs Uhr, eindeutig zu früh für meinen Weißwein-Kater sich aus dem Bett zu quälen, doch die erste Tour in den iSimangaliso Wetland Park steht bevor. Der 3280 Quadratkilometer große Nationalpark ist seit 1999 eine UNESCO Welterbestätte und dient dem Schutz von fünf Ökosystemen: Feuchtbiotope, Waldgebiete und Seen, aber auch Korallenbänke und Strände. Es leben dort nicht nur die größten Krokodil- und Flusspferdbestände Südafrikas, auch Nashörner kommen dort noch vermehrt vor. An den Küsten des Parks lassen sich außerdem Buckelwale und Delfine beobachten. iSimangaliso bedeutet übersetzt „Wunder“. Gibt es einen passenderen Namen für einen solchen Ort?
Pünktlich um sieben besteigen wir vom Siyabonga Jetty aus mit unserem Skipper Derek schließlich das kleine Tourboot des Veranstalters Heritage Tours and Safaris. Wie es sich für Touri-Nester gehört, ist so früh morgens noch kein Mensch auf der Straße (Liegen zum reservieren gibt es hier nicht) und wir haben Derek und sein Boot ganz für uns alleine. Derek ist der Inbegriff eines Kapitäns: Vielleicht Mitte 60, braungebrannt, bekleidet mit Shorts, einem khakifarbenen Hemd und einer dieser Survival-Westen mit den vielen Taschen. Fehlt nur noch die Pfeife im Mundwinkel!
Gemächlich tuckern wir Südafrikas größte Flussmündung entlang auf der Suche nach Hippos. Die lassen nicht lange auf sich warten. Schon bald taucht eine ganze Hippo-Großfamilie vor uns auf. Von einigen sind nur der Nasenrücken und die niedlichen Ohren auszumachen, während andere übermütig miteinander spielen, dabei ihre gewaltigen Mäuler aufreißen und lustige Grunzgeräusche von sich geben. Die Hippos sind Tour-Boote in ihrer Nähe bereits gewöhnt und lassen Derek das Boot bis auf wenige Meter an sie heran steuern. Er grunzt ebenfalls und die Happy Hippos schauen uns neugierig an, bevor sie mit einem gewaltigen, feuchten Schnauben wieder unter der Wasseroberfläche verschwinden.
Der Kapitän erklärt uns, dass Hippos am nächsten mit dem Wal verwandt sind und an Land trotz ihrer Masse bis zu 45 kmh schnell laufen können. Die entscheidenden Moment im Leben eines Hippos, wie Fortpflanzung und Geburt, fänden allesamt unter Wasser statt. Dort würden sie sich auf dem Flussbett laufend fortbewegen. Doch auch die Zahl der Hippos schrumpfe in den letzten Jahren stark durch die legale und illegale Jagd auf ihre Zähne. Das Elfenbein ist vor allem für Messergriffe beliebt. Die Gesamtzahl der Hippos in freier Wildbahn wird in ganz Afrika nur noch auf 115 000 – 130 000 Tiere geschätzt.
Die Geschichte eines Kapitäns
Während wir weiterfahren tauchen rechts und links immer mal wieder ein paar Ohren oder ein paar Flusspferdnüstern auf, nur um dann gleich wieder abzutauchen. Derek stellt den Motor ab und wir lassen uns eine Weile treiben. Es ist noch immer still. Keine anderen Boote sind auf den breiten, von Schilf gesäumten Wasserwegen unterwegs. Die Luft ist noch kühl und feucht. Ein leichter Nebelschleier liegt über dem Wasser. Zu hören ist einzig und allein das Grunzen und Schnauben der Hippos und das Gezeter der Vögel, die sich an den grünen Ufern tummeln.
Nach einiger Zeit der Stille, wird Derek plötzlich redselig und beginnt über sein Leben und St. Lucia zu berichten: „St. Lucia war früher ein Fischerdorf mit weniger als 1000 Einwohnern. Heute leben alle ausschließlich von den Touristen. Man hat eben den Wert der Natur erkannt. Es gibt über 10.000 Betten nur für Touristen!.“, erzählt er, mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme. „Ich bin eigentlich Musiker. Habe in Pups und Bars gespielt für Fischer, Mienenarbeiter und Straßenbauer. Ich sollte spielen, damit sie mehr trinken!“, er lacht ein raues Lachen.
„Irgendwann wurde ich zu alt und mit dem aufkommenden Tourismus gab es diese Läden dann auch nicht mehr. Also brauchte ich einen neuen Job und wurde Kapitän. Früher, da bin ich auch Whale Watching Touren und Fischerboote gefahren.“, den Stolz in seiner Stimme kann man nur schwer überhören. „Aber dann kam Corona und alles brach zusammen. Viele hier hat das in den Ruin getrieben, Lodges mussten schließen. Ich hatte auch keine Einnahmen mehr. Meine Frau und ich mussten Haferbrei essen. Für uns hier kamen keine Hilfen. Meine Chefin hat sich umgebracht deswegen. Sie hat den Tourismus nach St. Lucia gebracht und dann ist alles zusammengebrochen. Das hat sie nicht ausgehalten. Das war ein Riesenschock für das Dorf. Sie war nicht die einzige.“
Derek verstummte. Den Blick starr auf den Fluss gerichtet. In seinen Augenwinkeln konnte ich Tränen schimmern sehen. Corona – wie viele andere Deutsche vermutlich auch, hatte ich dieses Wort 2023 schon längst aus meinem Kopf verbannt. Doch hier, für Derek war es noch immer real. „Was für ein Glück wir doch hatten“, dachte ich. Yannik, Marcel und ich waren während der Lockdowns alle noch sicher an der Uni eingeschrieben gewesen, konnten gemütlich von zu Hause aus studieren (oder auch nicht) und hatten dadurch eigentlich nichts zu verlieren.
„Ich habe damals auch ausgebildet zum Kapitän.“, reißt mich der Skipper aus meinen Gedanken. „Die jungen schwarzen Männer, die ich damals angelernt habe, tja, die haben jetzt meinen Job. Das ist ja auch richtig so.“, fügt er hinzu. „Aber der Tourismus ist auch ein Problem. Es sind einfach zu viele hier. So viele, dass in den Bussen hier manchmal kein Platz mehr für die Einheimischen ist. Manchmal sind mehr Touristen in der Stadt als Einheimische.“ Er seufzt tief. Anstatt weiter zu erzählen, zeigt er in die Krone eines Baumes am Ufer. „Das ist ein Fischadler. Ein Fischadlerpärchen bleibt sein ganzes Leben zusammen. Stirbt ein Partner, dann stirbt kurz darauf meistens auch der andere.“ Mit diesen romantischen Worten wendet sich Derek wieder seinem Steuerrad zu, lässt den Motor an und wir tuckern zurück in Richtung Jetty.
St. Lucia - Kind unserer Zeit?
Unterwegs passieren wir nun mehrere, viel größere Tourboote. Die jungen Männer in schicker Uniform an deren Steuer nicken kurz in Richtung Derek. Er hebt die Hand zum Gruß. Mittlerweile scheint auch St. Lucia erwacht zu sein. Glänzende Mietautos und vollgestopfte Minibusse wetteifern um den begrenzten Platz auf den schmalen Fahrspuren der Hauptstraße. Fußgänger mit Allerlei auf dem Kopf begnügen sich mit dem schmalen Seitenstreifen und trotzen dem aufgewirbelten Staub. Von den Vögeln ist nichts mehr zu hören, die Hippos sind auf Tauchstation.
Dereks Worte hallen in mir nach. Ohne Zweifel hat man in St. Lucia den Wert der Natur erkannt. Doch nur den finanziellen Wert? Würde man sie um ihrer selbst Willen schützen? Vermutlich nicht. Ohne den Geldsegen des Tourismus kein Naturschutz. Doch wie viel Naturschutz ist unter diesen Umständen überhaupt möglich? Ich möchte mir einreden, dass mein Besuch im iSimangaliso Wetland Park zu dessen Schutz beiträgt.
Und was ist mit den Einwohnern von St. Lucia? Durch mehr Arbeitsplätze und Sicherheit geht es ihnen sicher besser, oder? Doch Corona hat gezeigt, dass Tourismus nicht das Allheilmittel ist. Warum fällt es uns so schwer ein Gleichgewicht zu finden? Zwischen Tradition und Moderne, Entwicklung und Stillstand? Wegen der Dollarzeichen in den Augen sogenannter Geschäftsmänner, denke ich. Ein resigniertes Seufzen entfährt mir. Ich kann es nicht ändern. Nur hoffen und dankbar sein, für dieses Wunder, das ich ohne die Einwohner St. Lucias nicht entdecken könnte.
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