Eindrücke aus Tbilisi
Von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen
Georgien ist ein Land zwischen Ost und West. Womöglich ist es deshalb so schwer zu fassen, so überfordernd für mein deutsches, geordnetes Hirn? Weil es sämtliche Kategorien und Schubladen sprengt?
Auf der Fahrt vom Flughafen der Hauptstadt zu unserem Hotel passieren wir Plattenbauten, die vor sowjetischem Verfall nur so strotzen. Direkt daneben: Ein glitzerndes, hochmodernes Einkaufszentrum mit Leuchtreklame für H&M, Wendy`s Diner und Starbucks, wie es auch in Berlin, LA oder London stehen könnte.
Der Mtatsminda Vergnügungspark auf den Hügeln über Tbilisi strahlt unverkennbar etwas aus, das wir als „Ostblock-Charme“ bezeichnen würden und bei dem, schon leicht bemoosten, rot-weißen Fernsehturm würde es nicht wundern, wenn hinter den beschlagenen Fensterscheiben noch immer ein KGB Agent an seinen Abhörknöpfen dreht. Darunter steht ein Stand der Hot Dogs am Stiel, Softeis und Coca Cola verkauft. Apropos KGB: Das brutalistische, ehemalige Quartier des Geheimdienstes in Tbilisi bildet heute den Eingang eines hochmodernen 6-Sterne Luxushotels. Herrlich exzentrisch und dekadent.
Vereint in Tbilisi
Wir verlassen unser Hotel zur Mittagshitze. Es hat knapp 40 Grad. Die Luft hängt schwer in den engen Gassen der Altstadt. Der Geruch von ungefilterten Abgasen und Hundekot brennt in der Nase. An Wäscheleinen flattert die frisch gewaschene Wäsche über den Gehsteigen. Es wird gehupt, lautstark diskutiert. Alle paar Minuten will man uns ein Taxi verkaufen. Wir weichen Reisegruppen aus Russland, Armenien und Groß Britannien aus.
Ein Teil der Altstadt wurde hübsch hergerichtet, der Rest verfällt. Grau und schief hängen die Häuser aneinander, wenn man sich von den Touristenströmen löst. Hier kommt alles zusammen. Türkische und persische Einflüsse mischen sich mit sowjetischen. Unweit von orthodoxen Kirchen stehen eine große Synagoge und eine Moschee. Über allem thront der Rest der Nariqala Festung. Ein Überbleibsel der persischen Sassaniden aus dem dritten Jahrhundert. Sie soll restauriert werden.
Hier in Tbilisi scheinen Russland und Europa – trotz zahlreicher Schmierereien an Hauswänden – keinen Gegensatz zu bedeuten. Wie erfrischend. Russische Autos, Mercedes und BMW versteht sich, hupen sich in Scharen durch die verstopfte Altstadt. Hübsche, langbeinige Russinnen mit weniger eleganten Männern an ihrer Seite schlendern, fotografieren, lachen ebenso wie wir. Über ihnen wehen die Flaggen der EU, der Ukraine, ja selbst der NATO, von vielen Balkonen und öffentlichen Gebäuden.
Es ist ein seltsames Gefühl. Ich kann nicht vermeiden mich zu fragen, ob Putin die Hirne des russisch sprechenden Paars, das uns im Vorbeigehen freundlich zunickt, infiltriert hat. Oder ob sie hier sind, um dem Irrsinn zu entfliehen? Aber es ist auch egal. Denn hier sind wir alle Urlauber, Reisende, die einander begegnen. Alle gleich. Alle Menschen. In Georgien ist das möglich.
Orthodoxe Schönheit
In Zeitlupe bewegen wir uns durch die Hauptstadt. Trotzdem sind unsere Shirts schweißgetränkt. Wir überqueren die Friedensbrücke, die auch „Always-Ultra“ genannt wird. Jede Frau sieht sofort warum. Durch den Rike-Park, hinauf zum Präsidentenpalast, der mit seiner Glaskuppel an den deutschen Reichstag erinnert. Vor einem Hotel wird gerade eine Bussladung aus Russland ausgespuckt. Es herrscht Klassenfahrt-Stimmung.
Wir schlängeln uns hindurch und stehen endlich vor dem größten Kirchengebäue der Kaukasus-Region. Die Sameba Kathedrale ist das Prestige-Objekt des unabhängigen georgischen Patriarchats. Die Kathedrale mit ihrer strahlend goldenen Kuppel, dem großzügig angelegten Park, angeschlossenem Kloster und Priesterseminar wurde erst 2004 fertig gestellt. Die Kirche hat Geld. Wie überall.
Es herrscht reges Treiben vor den heiligen Mauern. Nicht nur Touristen tummeln sich. Orthodoxe Priester in wallenden schwarzen Umhängen und langen, gepflegten Bärten bereiten sich auf den nächsten Gottesdienst vor, telefonieren im Schatten der Kirche, spielen mit den ansässigen Straßenhunden. Gläubige kommen und gehen, zünden schmale Kerzen an. Küssen die goldenen Ikonen, lassen sich von den Priestern segnen.
Und wieder sind es die Frauen die herausstechen. Sie tragen schöne, lange Röcke mit weißen oder schwarzen Blusen und bedecken ihr Haar mit bunten, seidenen Kopftüchern. Ihre Gesichter ziert ein sanftes Lächeln. Keine Spur von den andächtigen, heuchlerisch demütigen Blicken wie man ihnen zuweilen in unseren Kirchen begegnet.
Wir legen uns ebenfalls Tücher um und betreten die Kirche. Kein Eintritt, keine Laufrichtung. Besucher, Gläubige und Priester mischen sich. Es gibt keine Sitzbänke in orthodoxen Kirchen. Die Orthodoxen betreten einen abgesperrte Bereich, um die Ikonen zu küssen, Gebete zu murmeln. Dann öffnet sich die Ikonostase, die Trennwand zum Altarraum, dem Allerheiligsten.
Der Gottesdienst beginnt. Niemand stört sich an uns. Eine ältere Dame auf einem Plastikstuhl bemüht sich vergeblich uns auf russisch zu erklären, was gerade passiert. Priester in roten und grünen Gewändern umrunden weihrauch- schwingend das Kirchenschiff, eine weitere Ikone wird aufgestellt. Weiß Gewandete hantieren im Altarraum, der polyphone Singsang vierer Kirchendiener erfüllt das Gebäude, erfüllt den Körper. Es ist schwer sich los zu reißen. Draußen umgibt uns wieder die Hitze. Der Gesang hallt noch immer in unseren Ohren.
Im georgischen Wohnzimmer
Kochkurs bei Irina im Wohnzimmer. Sie wohnt im nicht restaurierten Teil der Altstadt von Tbilisi. Das windschiefe Wohnhaus erregt von Außen nicht gerade den Appetit. Ein fetter Straßenköter bellt uns heiser entgegen. Zum Aufstehen reicht es nicht. Irina führt uns in den zweiten Stock in ihre geräumige, helle Wohnküche. Wir atmen auf. Die ein oder andere Katze sitzt zwar auf dem Esstisch, aber die moderne Küche blitzt sauber. Im TV läuft eine russische Reisesendung bei der man Urlaube in Kaliningrad und St. Petersburg gewinnen kann. Der Reporter zeigt Impressionen aus Sibirien, China, Indien. Die russische Version von Tamina Kallerts „Wunderschön“.
Irina, eine beleibte Frau mit Kittelschürze und kurzen schwarzen Haaren, vielleicht Ende 60, spricht ihr englisch mit tiefer, deutlicher Stimme und schwerem Akzent. Sie erklärt uns, dass sie jeden Tag zwei Kurse anbiete. Vor uns sei ein junges Pärchen aus Russland da gewesen. Ich frage sie, ob sie denn immer russisches Fernsehen schaue. „This“, sie deutet auf den flimmernden Kasten, „I like. But I never watch the news. The Russian government is crazy. Not good.“ Sie schüttelt energisch den Kopf. Von oben dröhnt derweil „Let the Sky Fall“. Eine Männerstimme singt lauthals und recht gekonnt mit. „My son.“, erklärt sie. „He is getting ready for night shift.“ Was der junge Bond wohl arbeitet?
Unsere Khinkalis und Khachapuris werden Dank Irinas strenger Anleitung jedenfalls besser als alles, was wir in den Restaurants bisher gegessen hatten. Selbst der bräunliche, saure Wein aus dem Tetrapack schmeckt bei ihr besonders gut.
Grenzen
Es ist unser letzter Abend in Tbilisi. Später im klimatisierten Hotelzimmer versuche ich diese fünf Tage in der georgischen Hauptstadt einzuordnen, ein Fazit zu ziehen. Es gelingt nicht. Es war bezaubernd und schrecklich zugleich. Es war eine Offenbarung und eine Konfrontation. In einem Moment willkommen, im nächsten wieder Luft, da wir des Georgischen nicht mächtig waren und ich mich nicht traute mein rudimentäres Russisch zu sprechen.
In Georgien stoße ich an Grenzen. An Grenzen im Kopf von denen ich nicht dachte, dass sie da sind. Ich möchte sie mit ganzem Herzen überschreiten, wünschte wir alle könnten sie überschreiten. Vieles wäre einfacher. Friedlicher. Aber Grenzen überschreiten – vor allem die im eigenen Kopf – kostet Kraft. Fünf Tage in Tbilisi reichten nicht, um sie aufzubringen.
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Wieder ein ganz interessanter Bericht 👍
Danke 🙂